„Rama IV“ – „Sorry, what?“
Ich hatte schon viel von asiatischen Großmärkten gehört. In Bangkok sah ich schließlich meine Chance gekommen, einen zu erleben und zu fotografieren. Es sollte sich jedoch als schwierig herausstellen fündig zu werden. Dabei müssten sie doch, wegen der berühmten frischen Küche, überall stattfinden…
„Mir war danach, etwas wirklich ursprüngliches zu fotografieren, einen Ort ohne ausländische Einflüsse.“
Ich sprach also mit ein paar Einheimischen. Allerdings bekam ich immer dieselben Angebote: zu dem bekannten „Floating Market“ zu fahren. Natürlich gegen eine kleine Provision für die Taxifahrer. Dieser „Floating Market“ (Markt, der nur auf Booten stattfindet) ist sehr bekannt und ein ur-touristisches Ziel. Diese Location auszuschließen fiel mir daher leicht und ich lehnte, entgegen der guten Überredungskünste der Taxifahrer, dankend ab. Mir war es danach, etwas wirklich ursprüngliches zu fotografieren, einen Ort ohne ausländische Einflüsse.
Es war ein glücklicher Zufall, dass ich am Kassenhäuschen des Skytrain, dessen Schienen in 20 Metern Höhe die Innenstadt Bangkoks durchziehen, eine nette Thailänderin traf, die mir vorschlug, einfach zur Straße RAMA IV zu fahren und mich dort mal umzuschauen. Denn dort wäre der sogenannte „Fresh Market“.
(Bis heute weiß ich nicht, ob er wirklich so heißt oder sie einfach nicht genau wusste, was sie mir sonst auf Englisch sagen könnte)
Mit einem hoffnungsvollen Gefühl rief ich also kurzerhand ein Taxi und wies den Fahrer an, mich zur besagten RAMA IV zu fahren. Dort angekommen verwandelte sich meine Hoffnung langsam in Skepsis. Kein Markt weit und breit. Wie denn auch? Ich war an einer Hauptstraße angekommen. Links und rechts nur ziemlich heruntergekommene Häuserfassaden mit dem typisch wuseligen Straßenleben Bangkoks. Immerhin keine Touristen.
Ich stieg also den Spaziergänger Übergang hinauf um mir einen Überblick zu verschaffen.
Staus. Häuser. Der glühende Asphalt. Im Hintergrund die Skyline.
Den verwunderten Blicken ob meiner Gestalt, folgte ein Straßenköter, der mich und meine Kamera neugierig beschnupperte. Langsam fing ich an zu schwitzen, so mitten unter der grellen Sonne.
Enttäuscht ging ich also die Treppen wieder hinunter. Ich entschied mich dazu, noch eine Weile zu bleiben und vielleicht etwas zu trinken.
Dazu bog ich in eine angrenzende Gasse ein, die komplett mit Planen überdeckt war. Als ich so die enge Gasse entlang spazierte und hier und da lächelnd meine Hand hob zum erwidernden Gruß, fiel mir auf, dass eigentlich alle Stände das Gleiche verkauften.
Nämlich säckeweise Reis, in dutzenden Varianten. Konnte das etwa der „Markt“ sein?
Das Ende der Gasse mündete in einer kleinen Brücke über einem Kanal. Die intensiven Gerüche wechselten zwischen undefinierbarem Dreck, fauligem Wasser und Gewürzen. Ich musste ein paar Rollerfahrern ausweichen, die, trotz der vielen Fußgänger und beladen mit Kisten und Tüten, an mir vorbei rauschten. Plötzlich eröffnete sich mir solch ein geschäftiges Treiben, dass mir klar wurde:
Ich war mittendrin angekommen. Auf meinem Markt.
„Hey man! Whiskey?“
Der „Markt“ war eigentlich kein Markt im, zugegeben, beschränkten Sinn. Es gab keinen zentralen Platz. Keine Marktschreier, keine typischen Stände (diese waren eher eine improvisierte Aneinanderreihung von Kisten, Brettern und Stangen).
Mir wurde klar, dass der Markt eigentlich ein ganzes Viertel war. Riesig. Straße um Straße. Ein Wirrwarr an Gassen. Meist mit Planen oder Blechen bedeckt um sich vor der brennenden Sonne zu schützen.
Umso weiter ich vordrang und langsam die Orientierung verlor, erkannte ich, dass alles trotzdem einem System zu folgen schien.
Es gab Viertel für Gemüse, Obst, Gewürze und: Reis, Reis, Reis. Eindrucksvoll schien die Farbe der Straßen zu wechseln. Von grün, zu bunt, zu weiß.
Fasziniert ließ ich mich treiben und beobachtete die Szenerie. Mein Adrenalinspiegel stieg von Schritt zu Schritt. Anfangs etwas gehemmt durch die neugierigen Blicke, begann ich immer mehr zu fotografieren.
Dieser Ort war wundervoll, genau das, was ich gesucht hatte.
Da ich der einzige Europäer weit und breit zu sein schien, erregte ich natürlich eine gewisse Aufmerksamkeit.
Auch die einer Gruppe Jugendlicher, die mich von der gegenüberliegenden Straßenseite lauthals zu einem Glas Whiskey einlud. Das konnte ich natürlich nicht ablehnen. Also hoffte ich, dass dieser nach bestem Gewissen gebrannt war. Nach einer sehr netten, aber aufgrund der Sprachbarriere spärlichen Konversation, entließen sie mich wieder auf die dreckige Straße.
Ich beobachtete gerade eine ältere Frau, die mit gelangweiltem Blick Gänse zu verkaufen schien, als ein Kunde kam und sich augenscheinlich für ihre Ware interessierte. Nach einer lautstarken Verhandlung suchte sich der Herr eine aus und mit gelassener Routine wurde die Gans, unter wildem Geschnatter, aus dem Käfig genommen. Kurzerhand brach man ihr das Genick. Ich war schockiert, konnte meinen Blick aber nicht abwenden und drückte kurz darauf auf den Auslöser.
Ich hatte plötzlich wieder Lust auf einen Whiskey.
Mit dieser ungewohnten Situation im Hinterkopf zog ich weiter und dachte noch des Öfteren darüber nach. Mir kam die Frage in den Sinn, wo eigentlich der Fisch und das Fleisch waren, wenn es doch eigentlich alles essbare zu geben schien.
Die Sonne ging langsam unter und das Licht brach sich in Bergen von Peperoni, Bananen und Drachenfrüchten. Ganze Straßen, die vorher fast leer waren, begannen sich mit Leben zu füllen.
„You want?“
Nach einem leckeren „Pad Thai“ zwischen Gemüsebergen war die Dunkelheit hereingebrochen. Zu den bisherigen Farben der Straßen kam jetzt noch eine hinzu: blutrot.
Ich verstand nun, dass der Fleischverkauf an der Front von großen Hallen, in denen die Fleischverarbeitung zu Gange war, stattfand. Nämlich sobald die Sonne untergegangen war.
Logisch, dachte ich mir, vor Schweiß klebend.
Laster fuhren plötzlich vor, die Ladeflächen gefüllt mit frisch geschlachteten, halben Schweinen. Eifrige Thailänder sprangen von der Ladefläche, warfen sich die Kadaver über die Schulter und rannten damit in die Hallen. Die Arbeit sah sehr hart aus.
Ich kam nicht umhin ihnen zu folgen und meine Neugier zu befriedigen.
In der Halle eröffnete sich mir ein blutiges Schauspiel. Die Kadaver wurden zu einer ersten Station gebracht und auf einen großen Tisch geworfen. Das Neonlicht tat sein Bestes um das tote Fleisch noch grausiger aussehen zu lassen. Der Mann, der nun auftauchte und die Schweine in eine Tonne warf um diese weiter zu transportieren, wirkte vollkommen gleichgültig. Er beachtete mich nicht einmal als ich Ihn fotografierte. Ungewöhnlich für einen Asiaten.
Bis heute nenne ich ihn wegen seines Trikots „Ronaldo“.
Nach ein paar Runden in der Halle, etlichen Ausrutschern auf Blutlachen und freundlich ablehnenden „no, thank you“ für angebotenes Fleisch, beschloss ich mich noch auf die Metzger und ihre Arbeit fotografisch zu konzentrieren.
In der Halle gab es für jeden Arbeitsschritt mehrere Stationen.
Am Ende konnte man vor den Toren schließlich alles kaufen, was man sich vom Schwein wünschte.
Ich dachte noch, dass ich es gut fände, wenn es in Deutschland auch so offen zu gehen würde.
Als ich mit vollen Speicherkarten wieder im Hotel ankam, taten mir die Füße weh.
Es war ein großartiger Tag gewesen aber auch sehr anstrengend. Es war Zeit für eine ausgiebige Dusche.
Als ich meine Kleider auszog, roch es nach kaltem Blut.